31. Mai 2021: Heute endet meine Pilotenlizenz. Mit 85 Jahren habe ich mich entschieden, sie nicht mehr zu verlängern. Dankbar für fast zwanzig wunderschöne Fliegerjahre, in denen ich die Welt aus Cessnahöhe kennenlernen konnte, erinnere ich mich, wie alles angefangen hat. 

Das war dem Reporter des Bonner General Anzeigers eine Schlagzeile wert: „Fliegen lernen“ hatte die scheidende Schulleiterin auf die Frage geantwortet, welche Pläne sie für den Ruhestand habe. Aus ihrem Traum vom Fliegen war in früheren Jahren nichts geworden. „Früh heiratete ich, jung wurde ich Mutter dreier Kinder. Zeit und Geld zum Fliegenlernen waren zu knapp im aktiven Familien- und Berufsleben. Elly Beinhorn, Hanna Reitsch und Antoine de Saint Exupéry rückten in weite Ferne.
Erst die Freiheit des Ruhestands ließ den Traum vom Fliegen wieder aufleben. Ein Geburtstagsgeschenk meines Mannes für die „Ausbildung PPL-A“ gab den Anstoß. Mein Sohn Klaus, selbst begeisterter Pilot, zerstreute meine Bedenken – „ich bin zu alt“ – „ich habe keine Ahnung von Technik“ – durch einen harten Probeflug mit Stalls und Steilkurven. Die Tüte auf meinem Schoß blieb unbenutzt. Die Mutter stieg lächelnd aus der Cessna. Der Sohn: „Du bist flugtauglich. Mach die Lizenz!“ Das bedeutete viele Flugstunden. Ich war ja schon über 60 Jahre. Aber irgendwann flog ich allein. Die kleine Cessna 152 D-EDGG trug mich sicher über die Solo-Platzrunden hinaus zu den kleinen und größeren Dreiecksflügen und durch die PPL(-A) und die CVFR-Prüfungen. Am 23.04.2003 erhielt ich meine Lizenz. Mit 66 Jahren hatte ich Flügel bekommen. Später kamen die Nachtflugberechtigung, die permanente US-Validation und die Special Pilots’ Licence für Australien hinzu. 

Diese Flügel trugen mich in den folgenden Jahren in die Welt hinaus. Ich fand eine kleine Fliegergruppe, mit der ich die Schönheiten vieler Länder aus Cessnahöhe bewundern konnte: Südliches Afrika, Karibik, Alaska, Florida, Florida Keys mit Key West, USA vom Pazifik zu den Rocky Mountains, Canada zu den Niagara Falls, Baltikum, dreimal Australien, Korsika, mehr als zehn Jahre Alpenflüge mit AOPA, und der große, selbst organisierte Flug 2016 Neuseeland Süd- und Nordinsel. Auf den vielen Flügen, meist mit der Fliegergruppe Werner Stadtkowitz habe ich nicht nur die Länder, sondern vor allem auch dortige Pilotinnen kennengelernt. Diese waren, genau wie ich, oft auch 99s Pilotinnen, die ich auf den jährlichen 99s International Conferences in den USA traf. Als Mitglied der AWPA Australian Women Pilots Association nahm ich 2013 an der Annual Conference in Harvey Bay teil und durfte im Auftrag unserer Präsidentin Hedwig Sensen der australischen Präsidentin Jennifer Graham die goldene VDP-Nadel der Freundschaft überreichen. Auch zu einer Konferenz der russischen AVIATRISA in Moskau überbrachte ich die Grüße der VDP und lernte russische Pilotinnen kennen. Das internationale Netzwerk hat die Coronazeit bis jetzt überdauert.
Aber auch in Deutschland lebte ich fliegerisch mit einem Netzwerk. Ich freute mich, auf den alljährlichen Spring Refreshern und Herbsttrainings mit meinen fliegenden Freundinnen zusammen zu sein und gemeinsam unsere Heimat zu erfliegen.
Dann kam Corona. Als die Flugverbote etwas gelockert wurden und Chartern mit Auflagen erlaubt war, flog ich wieder in den Alpen. So auch dieses Jahr. Es sollte mein Abschiedsflug werden.
Ich musste vor dem 31. Mai 2021 fliegen, plante also Mitte Mai. Wetterbedingt musste ich bis zum 26. Mai warten. Wir, Klaus Moog und ich, fuhren am 25. Mai nach Kempten-Durach. Übernachtung im Hotel mit Sondergenehmigung, aber keine Restauration. Also am Abend schnell noch in den Supermarkt.
Am nächsten Morgen blauer Himmel, leicht bewölkt, Sonnenschein. Die Cessna D-EESB stand schon gecheckt auf dem Rasen. Die schneebedeckten Berggipfel lockten. Es hatte dort oben über Nacht geschneit. Nun noch die Flugvorbereitungen und den Flugplan erstellen. Die Vorbereitungen versprachen 4 bis 5 Stunden schönen Alpenflug.
Wir starten in EDMK um 9:57 UTC auf der Graspiste 25, steigen auf 3300 ft und fliegen, weiter steigend, in Richtung Reutte / Zugspitze. Über den Fernpass und den westlichsten Zipfel der CTR LOWI Innsbruck gelangen wir entlang der Stubaier Alpen zum Timmelsjoch. Auf 10.000ft. fliegen wir nicht wie geplant nach Sterzing, sondern weiter nach Süden über Meran. Über die Sarntaler Alpen erreichen wir Brixen, Klausen, Kastelruth. Wir suchen die Seiser Alm, wo wir im Sommer Urlaub machen wollen, und sinken über der Hochalm auf 3000 ft, drehen mehrere Runden, um die Hotels erkennen zu können. Dann konzentrieren wir uns auf unser nächstes Ziel: zum Abschluss möchte ich noch einmal über das Hochtor fliegen. Über St. Ulrich und das Grödner Joch führt unser Flug die Dolomiten entlang nach Cortina d’Ampezzo. Dann das Drautal entlang, um über LOKL Lienz zum Millstädter See und Spittal zu den Hohen Tauern und dort den auf 8451 m höchsten Alpenpass zu überfliegen. Aber – Petrus spielt nicht mit. Schon bei Lienz hatte die Bewölkung zugenommen, der Großglockner und seine hohen Nachbarn waren unter Wolken verschwunden. Auf unserer geplanten Route überraschen uns auf den Bergen aufliegende graue Wolken. Rundum immer mehr Wolken. Also sofort nach einem Loch suchen und den Heimweg finden. Spannende Minuten. Wir finden ein Loch, das uns in besseres Wetter bringt und landen in LOKL Zell am See.
Wir hofften auf ein schönes Essen. Aber in Corona-Zeiten war die Gastronomie geschlossen. Nur mit QR-Code und Maske durften wir zum allerdings kostenlosen Kaffee-Automaten und zur Toilette. Unser Aufenthalt auf dem Flugplatz war kurz nur zum Tanken und auf eine Tasse Kaffee.
Da sich die interessanten, schneebedeckten Bergriesen in Wolken gehüllt hatten, war der Rückflug auf die Flusstäler, Seen und flacheren Gebirgs-Landschaften beschränkt. Von St. Johann/ Tirol kehrten wir über den Achenpass, Garmisch-Partenkirchen, Reutte und Nesselwang nach Kempten-Durach zurück. 

Zum Abschied habe ich noch einmal einen wunderbaren langen Alpenflug erleben können: Das Steigen und Fliegen in dieser fantastisch schönen schneebedeckten Welt der Bergriesen, mit Blick auf verwunschene Seen und enge und weitere Täler weit unten. Ich bin dankbar, dass mein Hobby Fliegen mir nicht nur die weite Welt, sondern auch die Heimat gezeigt hat und dass ich mit vielen Pilotinnen ein länderüberspannendes Netzwerk spannen konnte.